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Konzertkritiken

Berner Zeitung vom 1. Juli 2019

Berner Kulturagenda Nr. 4 Januar 2013

Klassisches Bauchgefühl

Angeführt von drei Frauen, spielt das Orchester Divertimento Bern sein Winterkonzert.

Unter der Leitung von Clíodhna Ní Aodáin punktet das ambitionierte Amateurorche­ster mit einer anspruchsvollen Stückwahl. 

Wenn das Orchester Divertimento mit Felix Mendelssohns Ouvertüre «Die Hebriden » sein Winterkonzert eröffnet, ist dies für seine Dirigentin ein ganz spezieller Moment. Da ist einerseits ihre gespannte Erwartung, wie das so oft geübte, anspruchsvolle Stück vor Publikum tönen wird; andererseits steht Clíodhna Ní Aodáin hochschwanger am Pult, die Geburt steht in wenigen Wochen bevor. «Ich spüre, wie das Kind beim Dirigieren im Bauch mittanzt», verrät sie.

An Herausforderung wachsen

Seit zwei Jahren leitet die 40-Jährige, die hauptberuflich als Cellolehrerin am Konsi arbeitet, gemeinsam mit Annemarie Dreyer das Orchester Divertimento. Vom Potenzial ihrer Schützlinge, alles Amateure, zeigt sie sich sehr angetan; ihre eigene Aufgabe sieht sie dann auch vor allem darin, dieses zur Geltung zu bringen. Dazu wagt sie sich zusammen mit dem Orchester an schwierige Stücke: Neben Mendelssohns «Hebriden» steht auch dessen 4. Sinfonie auf dem Programm. Für erstere liess sich der deutsche Komponist von schottischen Küstenlandschaften – ähnlich denjenigen in Aodáins Heimat – inspirieren; letztere schrieb er nach einer Italienreise.

Für die weiteren Stücke, Carl Reineckes selten gespielte Ballade für Flöte und Orchester und Mozarts Andante in C-Dur, erhält das Divertimento Unterstützung von der Flötistin Regula Küffer (Strimpellata, Berner Kammerorchester). Mit Küffer ist das Frauentrio, welches das Orchester durch das Winterkonzert führt, komplett.

Basil Weingartner

Mendelssohn Gesellschaft Schweiz

Der Bund 17. Oktober 2009

Felix Mendelssohns Beitrag zu Harmos

In unvergesslicher Ewigkeit stehen Werke wie die Schauspielmusik "Ein Sommernachtstraum" oder das Oratorium "Elias". Doch der Durchbruch mit der Oper gelang Felix Mendelssohn nie, obwohl er schon sehr früh bemerkenswerte Gehversuche in diese Richtung wagte. Vier seiner Singspiele entstanden vor 1825 und sind somit Kompositionen eines elf- bis vierzehnjährigen Knaben. In den Jahren 1820-21 durchlief Felix unter der Aufsicht und der Anleitung seines Lehrers, des Philologen Carl Heyse, eine strenge Schulausbildung. An diese Stunden wird er sich wohl erinnert haben, als er das Singspiel "Die beiden Pädagogen" nach dem Libretto des Gerichtsmediziners Johann Ludwig Casper in nur sechs Wochen zu Papier brachte. Kurz nach seinem zwölften Geburtstag kam das Werk im Elternhaus zur ersten Aufführung. Das Singspiel erzählt die Geschichte von Carl, welcher dem Wunsch des Vaters zufolge ein Gelehrter werden soll. Auf Anraten des ortsansässigen Akademikers Kinderschreck wird ein "recht strenger" Lehrer für den Sohnemann engagiert. Der bestellte Hofmeister ist jedoch erkrankt, und ohne den Gebieter in Kenntnis zu setzen, gibt sich dessen Diener als Lehrer aus. Zwischen Kinderschreck und dem "Professor" Luftig entsteht eine hitzige Diskussion über pädagogische Probleme, welche in der heutigen Harmos-Debatte subtile Aktualität findet.

Passend zum 200. Geburtstag des Komponisten wagt sich das Orchester Divertimento an das Singspiel "Die beiden Pädagogen" des 12-jährigen Wunderkindes und die acht Jahre später entstandene Ouvertüre zum Liederspiel "Heimkehr aus der Fremde". Der satte Orchesterklang kommt in der Ouvertüre schön zur Geltung. Vor allem die Bratschen und die Celli überzeugen in ihrem Solopart. Bei einigen Tempowechseln verliert das Orchester sein Zusammenspiel, findet sich jedoch nach kurzer Zeit durch die sichere Hand des Dirigenten Paul Moser wieder. Aus dem Sängerensemble sticht die junge Sopranistin Marysol Schalit in der Rolle der Elise heraus. Ihre klare und sicher geführte Stimme überzeugt. Die hohen Töne von Josira Salles (Hannchen) scheinen teilweise zu forciert, der Bariton Thomas Froidevaux geht manchmal in der etwas zu lauten Bläser-Garde unter, zeigt aber mit Manuel König (Tenor) und Beat Schwerzmann (Bariton) eine solide Gesamtleistung. Mit seiner einfühlsamen Inszenierung und dem einfachen Bühnenbild erzielt der Regisseur Philipp Mamie grosse Wirkung und wird damit dem Werk eines Kindes sehr gerecht. Ein Amüsement bietet die Szene kurz vor Schluss, als Carl und Elise Arien aus den später komponierten Singspielen "Der Onkel aus Boston" und "Die Hochzeit des Camacho" einbauen. So findet man sich an diesem Abend auf einer Reise durch die Kindheit eines Genies wieder. (mak)

Der Bund 26.1.2004

Die Geige denkt mit

Hansheinz Schneeberger spielte am Freitag in der Französischen Kirche Beethovens Violinkonzert, begleitet vom Orchester Divertimento Bern unter der Leitung von Paul Moser: ein einmaliges Erlebnis.

Wenn Hansheinz Schneeberger den Bogen ansetzt und seine Geige klingen, besser gesagt: singen lässt, springt der Funke sofort auf die Zuhörer über. Mit fast 78 Jahren noch aufzutreten ist zwar weder selbstverständlich noch risikofrei, bei Schneeberger hingegen darf man sagen: Zum Glück tritt er noch auf!

Behutsamer Aufbau

Zu verdanken ist dies zwei ehemaligen Schülern Schneebergers: Annemarie Dreyer Lüthi und Paul Moser, der Konzertmeisterin und dem Dirigenten des Orchesters Divertimento. Dieses Orchester, 1993 aus dem eingeschlafenen Berner KV-Schülerorchester hervorgegangen, besteht fast ausschliesslich aus Amateurmusikerinnen und –musikern. Ihr Spiel ist aber von ausserordentlich hoher Qualität: Bei Beethovens dramatischer „Ouvertüre zu Coriolan“ op. 62 kann man schon bei den Eröffnungsakkorden das exakte Zusammenspiel geniessen, Spannungsbögen verlieren ihre Kraft nie, und jeder Höhepunkt wird behutsam aufgebaut statt zu viel Pulver auf einmal verschossen. Bizets „Arlésienne-Suite“ Nr. 1 beinhaltet viele verschiedene, zum Teil überraschende Klangfarben, die von den grossenteils jungen Musikern schön in allen Facetten ausgelotet werden.

Voller Temperament

Als im zweiten Teil Schneeberger auftritt, wirkt das Orchester in der Einleitung von Beethovens Violinkonzert etwa so nervös wie die Zuschauer, die auf den Solisten gespannt sind. Die Musiker fangen sich aber sofort, und man merkt, dass es Schneeberger mit dem Divertimento Bern sehr wohl ist. Er spielt voller Temperament und bewegt sich frei in der Orchesterbegleitung, von der er sich nicht an der Kette führen lässt.

Die langsamen Partien gestaltet er mit hinreissend zartem und singendem Klang, die virtuosen Passagen mit ungeheurer Mühelosigkeit, und zwar nicht mit dieser lupenreinen, fast sterilen Perfektion, die heute vielerorts als das A und O gilt. Nein, vielmehr muss man an seinen Satz im „Berner Almanach Musik“ denken: „Im Grunde will ich, dass die Geige denkt, nicht mein Kopf.“ In der Tat hat man oft das Gefühl, die Geige spiele fast von alleine. Wirklich ein einmaliges Erlebnis.

(Der Bund 26.1.2004 Mathias Geiser)

 

Thuner Tagblatt 27.1.2004

Der Geist der Musik vibrierte in der Luft

Eine dramatische Tondichtung aus „L’Arlésienne“ bot das Orchester Divertimento Bern in der Kirche Amsoldingen.

Mit Ludwig van Beethovens Ouvertüre „Coriolan“ in c-Moll baute das Orchester Divertimento Bern in der Kirche Amsoldingen die erste Spannung auf. Das Werk, aus dem Drama „Coriolan“ von Joseph von Collin inspiriert, versucht mit gewaltigem Klanggebilde die innere Entwicklung des Helden, der in leidenschaftlichem Stolz gegen sein Volk und gegen das Gesetz der Gemeinschaft aufbegehrt und daran zugrunde geht, musikalisch umzusetzen.

Voller Leidenschaft

Die Spannung mit eigenwilliger Harmonik und die innere Entwicklung des Helden hin zum Chaos wurde unter der Leitung von Paul Moser nachfühlbar musiziert. Leidenschaftlich und lebendig übertrug das Orchester George Bizets originelle Arlésienne-Suite Nr. 1 ins Publikum.

Zu einem Klangerlebnis verschmolzen der 78-jährige Violonist Hansheinz Schneeberger und das Orchester in Ludwig van Beethovens Violinkonzert in D-Dur. Obschon die Bläser (Horn und Trompeten) meist sehr zurückhaltend spielen mussten, ergänzten sich Solist und Orchester. Sie spickten sich die tragenden Themen in exakter Manier und Leichtigkeit untereinander zu. Einfühlsam und farbig gestaltete das Orchester das Zusammenspiel mit dem Solisten.

Thematik begeisterte

Zu begeistern wussten die marschartige, jagdmässige Thematik und die Virtuosität der verschiedensten Nuancen. Eindrücklich war, wie der Solist in seiner Kadenz Timpani-Schläge einfliessen liess. Trotz des etwas lang wirkenden Solokonzertes lag der Geist der Musik in der Luft der akustisch hervorragenden Kirche.

(Thuner Tagblatt 27.1.2004 hms)